„Wir haben etwas zu feiern! Das tun wir am Sonntag in Ahaus, weil der geplante Atomtransport nach Russland nicht stattfindet“, schrieb die LINKE Bundestagsabgeordnete aus dem Münsterland, Kathrin Vogler am Montag. Tatsächlich hat Bundesumweltminister Röttgen (CDU) auf einer Pressekonferenz in Bonn erklärt, die geplante Verbringung von Atommüll nach Majak nicht zu genehmigen. Diese Entscheidung sei „zunächst endgültig“.

Kurz zuvor war das Gutachten zur Bewertung des Transportes geleakt worden. Das Gutachten listet die zahlreichen Pannen an der Anlage bei Majak auf, bei denen bisher 25 Tausend Quadratmeter und eine halbe Million Menschen verstrahlt wurden, kommt allerdings dennoch zu dem sicherlich gewünschten Ergebnis, dass gegen den Transport „keine Bedenken“ bestünden.

So reagierte Röttgen auch ausweichend auf die Frage, ob er die Transporte zu einem späteren Zeitpunkt genehmigen würde. Die Antwort, dies werde „wohl Jahre dauern können“, ist jedenfalls keine klare Absage. Vorwand für eine andere Bewertung zu späterem Zeitpunkt könnten womöglich die im Gutachten genannten Maßnahmen zur Eindämmung der Umweltbelastung in Majak sowie die Wiederinbetriebnahme einer derzeit stillgelegten Aufbereitungsanlage in dem Anlagenkomplex sein.

Besonders hinterhältig ist die Art und Weise, wie mit dem in der atomwirtschaft üblichen Verursacherprinzip argumentiert wird. Man sollte annehmen, dass damit gemeint ist, dass der in Ahaus zwischengelagerte Atommüll des Forschungszentrums bei Dresden eben auch in Deutschland endgelagert werden müsse. Infamer Weise wird aber nun argumentiert, das in Dresden verarbeitete Material stamme ja ursprünglich aus der UdSSR und müsse deshalb „zurück“ nach Russland. (Sollen dann künftig Atomabfälle nach Afrika, weil das Uran von dort stammt?)

Das Gutachten weist jedenfalls darauf hin, dass „in näherer Zukunft in Deutschland kein Endlager für ausgediente Kernbrennstoffe zur Verfügung stehen wird“.

Die Konsequenz aus der unlösbaren Entsorgungsfrage und aus den unbeherrschbaren Umweltgefahren der Atomwirtschaft, wie sie in Majak eklatant sichtbar, aber auch hierzulande statistisch auffällig werden, kann nur sein, sofort aus der Atomenergieproduktion und -forschung auszusteigen. Mit welchen Maßnahmen der schnellste Umstieg auf 100% erneuerbare Energien möglich ist, kann jeder nach eigenen Prämissen mit dem Energiewenderechner des SFV berechnen.

Solange diese Maßnahmen aber nicht ergriffen werden, ist weiterhin entschiedenster Protest gegen die herrschende Atompolitik notwendig – am deutlichsten immer dann, wenn wieder Castoren mit radioaktivem Material verschoben werden. Castoren mit Abfällen des früheren Kernforschungszentrums Karlsruhe stehen vor dem Transport aus Cadarache (Provence) nach Lubmin (bei Greifswald) an der Ostsee. Über 150 ältere Castoren mit teils hochradioaktiven Abfällen sollen innerhalb von NRW aus dem rheinischen Jülich ins Münsterland nach Ahaus verschoben werden.

„Was noch wird, hängt auch von uns und unserem Widerstandspotenzial ab“, schrieb Kathrin Vogler am Montag, „also: Nicht nachlassen, Castor stoppen, Atomindustrie verschrotten!“ Deshalb bleibt der Aufruf zur Demonstration in Ahaus für diesen Sonntag (12.12.) natürlich ebenso bestehen wie der Aufruf zur Demonstration in Greifswald am Samstag (11.12.). Am 30. Januar soll dann eine Demonstration in Jülich folgen.

Zugleich ist die Auseinandersetzung um die vorigen Proteste noch nicht abgeschlossen. Nach dem Protest gegen den Castortransport Anfang November von La Hague nach Gorleben stehen in Frankreich Mitglieder der Groupe d‹Actions Non-Violentes Antinucléaires (Gewaltfreie Antiatom-Aktionsgruppe) vor Gericht. Die Gruppe hatte den Transport kurz nach dem Start in La Hague gestoppt. Bei der Auflösung der Blockade war die Polizei mit äußerster Brutalität vorgegangen. Zwei der Aktivisten erlitten Verbrennungen durch eingesetzte Werkzeuge, einem anderen wurden mehrere Sehnen durchtrennt. Nach einer Notoperation wurde er umgehend festgenommen und nur gegen eine hohe Kaution freigelassen. „Nicht die französischen Castor-Gegner, sondern die Polizei gehört auf die Anklagebank“, erklärte der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko zur Eröffnung des Verfahrens gegen drei Aktivisten vor dem Strafgericht im französischen Caen.

Streit um die Bewertung der Blockaden und der Polizeiaktionen gab es auch im nordrhein-westfälischen Landtag. Während Union und FDP bemüht waren, das „Schottern“ zu kriminalisieren, wollten SPD und Grüne einseitig der Polizei für ihr besonnenes Vorgehen im Wendland danken. „Ich habe vor Ort keinerlei Gewalt erlebt, die von den Demonstranten ausgegangen wäre. Das gilt auch für die Aktiven der Schottern-Kampagne. Stattdessen habe ich unverhältnismäßige Aktionen von einzelnen Polizeibeamten gesehen“, entgegnete Michael Aggelidis. Ralf Michalowsky forderte insbesondere das Verbot von Pfefferspray bei Polizeieinsätzen: „Durch diese Waffe, die auch gegen Sitzblockierer eingesetzt wurde, gab es schon mehrere Todesfälle. Das wissen Sie genau, nehmen es aber offensichtlich zur Durchsetzung Ihrer Atompolitik billigend in Kauf.“

(aus: Linksletter vom 9.11.2010)