Die „westlichste Großstadt“ Deutschlands ist stets bemüht, ihre nationale Randlage durch Verweis auf Höheres und Größeres zu kaschieren. Ungebrochen das Verhältnis zum Frankenherrscher Karl, anderswo als der „Sachsenschlächter“ bekannt, dem die Stadt im Dreiländereck aber ihr „Weltkulturerbe Nr. 1“ verdankt.

Königskrönungen fanden nach 1531 in Aachen nicht mehr statt, seit 1950 aber wird in Anlehnung an Karl den Großen, der sein Reich mit drastischen militärischen Maßnahmen zusammen hielt, der Internationale Karlspreis für „Verdienste um die Einigung Europas“ verliehen – und zwar tatsächlich immer wieder an Personen, die für ein aggressives und oft auch militaristisches Europakonzept stehen.

„Nach dem verlorenen Krieg sollte der Karlspreis einen ‚abendländischen‘ Reichsgedanken propagieren, der, scheinbar unbelastet vom Nationalsozialismus, wiederum ein ‚starkes‘ Europa einforderte,“ so der Linke Historiker Wolfgang Dreßen. Und so ging der Preis beispielsweise 1956 pünktlich zur Gründung der Bundeswehr an Konrad Adenauer, den Vater der Wiederbewaffnung.

Zu großen Protesten kam es, als 1987 mit Heinz Kissinger ein kalter Krieger mit dem Karlspreis geehrt wurde, dessen Rolle beispielsweise beim Militärputsch in Chile nie aufgeklärt werden konnte. 1999, als erstmals mitten in Europa wieder Krieg geführt wurde, ging der Preis ausgerechnet an den britischen Kriegsherrn Anthony Blair, im Folgejahr an seinen amerikanischen Mitstreiter William Clinton. Die dritte westliche Schlüsselfigur des Jugoslawienkrieges, der damalige NATO-Generalsekretär Javier Solana de Madariaga, musste bis 2007 auf den Karlspreis warten.

Wofür der Karlspreis steht, kann man auch daran ablesen, wer ihn gerade nicht bekommen hat. Alle Hauptunterzeichner der Römischen Verträge (Spaak, Adenauer, Segni, Bech und Luns) wurden mit dem Karlspreis ausgezeichnet, bis auf den französischen Außenminister Christian Pineau. Der einstige CGT-Gewerkschafter Pineau war während der deutschen Besatzung im Widerstand, 1943 von der Gestapo verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert worden. Als französischer Außenminister (1956-58) versuchte er, eine Öffnung gegenüber den Staaten des Warschauer Paktes zu erreichen.

Mit dem Karlspreis wurde hingegen auch Walter Hallstein ausgezeichnet, einem der bekanntesten kalten Krieger. Die nach ihm benannte Hallstein-Doktrin, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen dritter Staaten mit der DDR als feindlicher Akt gegenüber der BRD gewertet wurde, konnte erst vor genau vierzig Jahren überwunden werden.

Nach dem Verlust der Blöckekonfrontation geht es beim Karlspreis wirtschaftlich vor allem um die neoliberale Zurichtung Europas. Die Auszeichung Angela Merkels im Jahr 2008 wurde ausdrücklich mit ihrem Einsatz für die Rettung des dafür benötigten EU-Verfassungsprozesses begründet. 2002 war man sich nicht zu schade, den Mammon selbst auszuzeichnen, und machte „den Euro“ zum Preisträger. Im kommenden Jahr – voraussichtlich am Himmelfahrtstag, dem 2. Juni 2011 – soll nun dessen angeblicher Retter, EZB-Chef Jean-Claude Trichet, den Preis erhalten.

Während wieder einmal die meisten Aachener LokalpolitikerInnen die Entscheidung begrüßten, kritisierten Vertreter der Partei DIE LINKE diese Wahl. „Mit Angela Merkel wurde vor zwei Jahren schon eine Politikerin ausgezeichnet, die rigoros die neoliberale Orientierung Europas vorantreibt und eine Durchsetzung des Lissabon-Vertrages in der gesamten EU ohne Volksabstimmungen außer in Irland ermöglicht hat,“ meint der Aachener Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. „Trichet fügt sich genau in diese Linie ein, der Karlspreis bleibt einer neoliberalen, militaristischen EU mit Großmachtambitionen verpflichtet.“

Auch Jürgen Klute, Europaabgeordneter aus NRW, lehnt die Ehrung Trichets ab: „Die Wirtschaftspolitik der massiven Ausgabenkürzungen in Spanien, Griechenland, Portugal und Irland wird noch mehr Arbeitslosigkeit und soziales Elend befördern.“ Den Griechen habe Trichets Zentralbank auf Jahre hin eine neoliberale Regierungspolitik bis ins Kleinste diktiert. Die Aachener LINKE kündigt deshalb Proteste an: „Die Menschen in Europa haben die eiskalte Politik der Finanzinteressen satt.“

Während 2011 beim Karlspreis also die kapitalistische Seite der Medaille an der Reihe ist, bleibt die militaristische in Aachen nicht unbedacht. Der Aachener Karnevalsverein wird am 19. Februar 2011 seinen vorgeblich humoristischen „Orden wider den tierischen Ernst“ an Kriegsminister zu Guttenberg verleihen. Die fragwürdige Geschichte dieser Aachener Preisverleihung sei ein andermal erzählt.

(aus: Linksletter vom 9.11.2010)