Es ist mir unverständlich, warum einige Linke immer wieder an der Legende mitstricken, Trump wäre zugegebenermaßen in vielen Aspekten problematisch, aber von globaler Bedeutung sei doch, dass er nicht so militaristisch wäre wie sein Mitbewerber bzw. sein Vorgänger. Ob Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Diether Dehm: Sie führen dann an, Trump habe schließlich im Gegensatz zu seinen Vorgängern keinen Krieg begonnen.

Es ist schon erschreckend, dass es genügen soll, keine neuen Kriegsschauplätze eröffnet zu haben, um als weniger militaristisch zu gelten. Der Militäretat stieg unter Trump gegenüber dem letzten Obama-Haushalt um über zwanzig Prozent. Die Zahl der Drohenangriffe, insbesondere in Afghanistan, stieg schon gegen Ende der Amtzeit Obamas stark an. Trump steigerte sie laut Word Beyond War um über 430 Prozent. Auch die Drohneneinsätze im Jemen wurden unter Trump gesteigert. Sie forderten laut Democracy Now 154 Zivilisten das Leben, darunter mindestens 28 Kinder.

Erinnert sei auch daran, dass Trump vor den Vereinten Nationen dem Staat Nordkorea mit der "totalen Zerstörung" drohte. Als das dortige Regime verlautbarte, "US-Präsident Donald Trump bettelt um Atomkrieg", bekamen es viele mit der Angst zu tun.

Es ist überdies eine ziemliche Frechheit von Leuten wie Diether Dehm, jenen Linken, die sich über die voraussichtliche Abwahl von Trump freuen, zu unterstellen, sie wären unkritisch begeistert von Biden. (Und dann bezahlt er den US-Megakonzern Facebook, aufdass er mir solche Wahrheiten des Herrn Dehm vorhalten möge.)

Natürlich leistet die Wahl zwischen Biden und Trump keinen Beitrag zur Überwindung des Kapitalistismus. Das haben aber auch zu keinem Zeitpunkt mehr als die verblendetsten Anhänger Trumps geglaubt, Es macht aber doch einen Unterschied, ob in einem Amt, das manche trotz Allem noch als das des "mächtigsten Manns der Welt" ansehen, eine Person sitzt, die ihre Menschenfeindlichkeit offen zur Schau stellt, Menschen mit Behinderung verspottet und, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, unter Männern ihre krasse Frauenverachtung offenbart und der das Elend von geflüchteten Kindern gleichgültig ist, wenn es nur um effektive Grenzkontrolle geht. Gewiss, auch die Politik von Biden wird keine Vollendung der Gleichstellung der Geschlechter, keine Enthinderung der Gesellschaft, keine offenen Grenzen für alle Menschen in Not bringen.

Es ist sicherlich so, dass Trump von vielen Menschen gewählt wurde, die man (zumindest am Maßstab der US-Gesellschaft) zu den Verlierern des Systems oder zu den Abgehängten zählen kann und muss. Das macht ihre Wahl aber keinen Deut richtiger, insbesondere wenn der Antrieb dafür ist, noch Verlorenere und Abgehängtere abzuwehren. Als Linker daran etwas Gutes finden könnte man meines Erachtens nur, wenn man glaubt, an Trump den Zynismus des kapitalistischen Systems perfekt aufzeigen und mit ihm dessen Zusammenbruch beschleunigen zu können. Diese Hoffnung halte ich für gefährlich naiv, sie führt direkt in den Bürgerkrieg ohne jeden Anlass zu der Annahme, dass daraus etwas irgendwie Progressiv-Revolutionäres jemals hervorgehen würde. (Wenn man einen solchen Weg denn für vertretbar hielte.)

Biden statt Trump? Die Frage kann man auch mit den Worten von Cornel West beantworten: "ja, ein neoliberales Desaster ist besser als eine neofaschistische Katastrophe".