Anlässlich der schlimmen Ereignisse heute am anderen Ende der Eifel kommt mir dieser Text in Erinnerung, den Leonhard Ragaz 1927 veröffentlichte, und der in manchen Details erschreckend auf die Amokfahrt in Trier passt:

[…] Die Tatsachen sprechen eine Sprache, die man nur darum nicht hört, weil man entweder nicht hören will oder weil man im Banne eines bekannten Fatalismus meint, was sei, müsse sein, so wie es viele von der Armut, dem Krieg, der Prostitution meinen, wie man es einst von der Sklaverei und den Menschenopfern meinte. Machen wir uns diese Tatsachen klar.

Das Auto ist ein Ausdruck unerhörter Brutalität. Es ist eine Lokomotive, die ohne Geleise im Schnellzugstempo mitten unter die Mensehen hineinfährt, oft von sehr Unberufenen, nicht selten von halb oder ganz Betrunkenen geleitet. Gewiss ist es kein Zufall, dass diese Brutalität ihre Herrschaft antrat, als der Krieg die Menschen viereinhalb Jahre lang an die Missachtung des Menschenlebens, der Menschenwürde und Menschenfreiheit und an jegliche Bestialität gewöhnt hatte. Das Auto ist ein Ausdruck unerhörter Willkür des einzelnen Menschen. Ein einzelner Mensch (oder seien es zwei oder drei, das ändert an der Sache nicht das Geringste) wagt es, auf solche Weise die Straße und nicht nur die Straße, für sich in Anspruch zu nehmen, die Ruhe, die Freiheit, das Leben seiner Mitmenschen zu bedrohen. […]

Die Herrschaft des Auto über die Straße, und nicht bloß über die Straße, ist ein Zeichen mehr von der Auflösung der Demokratie in eine neue Sklaverei. Das Auto ist ein Ausdruck des wilden Egoismus des heutigen Menschen, der nach nichts fragt, als nach seinem eigenen Belieben. Ihm gegenüber ist die Eisenbahn der Ausdruck eines Gemeinschaftswillens. Sie dient allen, wird von allen getragen. Das Auto dagegen ist die Verkörperung eines Willens, der nach der Gesamtheit nichts fragt, der nach niemanden etwas fragt. […]

Die Autohupe mit ihrem Gebrüll, das so unnötig oft und stark erhoben wird, auch in tiefer Nacht, wenn man von seinen Autofreuden heimkehrt, ist ein richtiges Symbol des Geistes, den das Auto vertritt: „Aus dem Wege, oder ich vernichte dich!“ […]

Das Auto ist in seinem heutigen Gebrauch ein Ausdruck vollendeter Ruchlosigkeit. Nur ein ruchloser Mensch kann mit einer Lokomotive im Eilzugtempo unter die schutzlosen Menschen hineinfahren. Nur ein ruchloser Mensch kann ein Fahrzeug so benutzen, dass es jeden Augenblick einen Menschen töten kann, und zwar nicht so, wie es fast bei jedem Fahrzeug möglich ist, sondern so, dass das fast notwendig wird. Nicht jeder, der in einem Auto fährt, ist ruchlos — muss man extra sagen, dass man es nicht so meint? — denn die Menschen tun vieles, ohne zu wissen, was sie tun, aber das Auto an sich in seiner heutigen Benützungsform ist ruchlos, und es liegt in seiner Tendenz, etwas von dieser Ruchlosigkeit auf die Menschen zu übertragen, die es benutzen. Denn kann man so brutal die Freiheit, das Recht, das Leben anderer Menschen gefährden, ohne selbst brutalisiert zu werden? Kann ein Mensch das zarte Gefühl für das Recht und die Heiligkeit des Menschen bewahren, der mit diesem brüllenden, rücksichtslosen: „Aus dem Wege!" daherrast, wissend, dass er jeden Augenblick zum Mörder werden kann? Denn das Auto ist ein Mörder und zwar in riesigem Maßstab. […]

Ich weiss auch, dass schon jetzt überall Menschen gibt, die in dieser Sache so denken wie ich. Ihnen möchte ich zurufen : Habt nur den Mut, so zu denken und lasst Euch nicht einschüchtern durch den Lärm des Tages. Nicht Ihr seid die Verrückten, Ihr, die Ihr das Heiligtum des Menschen und der Natur für wichtiger haltet, als den Glanz einer technischen Erfindung und die Ihr nicht begreift, dass es eine Ehre sein soll, für den technischen Fortschritt von der Straße vertrieben, in der Nachtruhe gehindert, in der Freude an Gottes Welt verstört, vielleicht eines Tages überfahren zu werden oder (was noch schlimmer wäre) ein Kind überfahren zu sehen. Die andern sind die Verrückten, die von einem Dämon Besessenen. Es wird ein Tag kommen, wo Ihr Recht erhalten werdet; möchte es für Mensch und Natur nicht zu spät sein.