Heute um 10.59 Uhr gab mein Handy wie geplant Alarm. Die erste Warnmeldung über Cell Broadcast hat funktioniert, und offenbar auch viel zuverlässiger als die Katastrophenwarnapp, die erst um 11.11 Uhr eine Meldung abgab. Wir bereiten uns vor, um auf unvorhergesehene Katastrophen schneller reagieren zu können. Das ist eine sinnvolle Konsequenz aus den schlimmen Ereignissen, die auch die Städteregion Aachen im letzten Sommer getroffen hatten. Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass es zu solchen extremen Wetterereignissen kommt, und es ist wichtig, damit zu rechnen.

Noch wichtiger ist es, alles daran zu setzen, was wir tun können, um die Zunahme der Häufigkeit solcher Ereignisse zu stoppen. Unser Handeln als Städteregion ist nur eine winziger Mosaikstein, wenn es darum geht, dem Klimawandel zu begegnen, aber wir brauchen auch jeden noch so kleinen Beitrag. „Das weiche Wasser bricht den Stein“, sangen Bots in den 80er Jahren – mein Sohn hat den Song kürzlich in einem alten Liederbuch gefunden und er macht ihm Hoffnung in Zeiten, in denen das Radio voll ist von bedrückenden Nachrichten.

Soweit zu den Vorbereitungen auf neue unvorhergesehene Katastrophen. Aber was ist eigentlich mit den vorherzusehenden Katastrophen?

Viele machen sich Sorgen vor einem Blackout der Stromversorgung, auch die Städteregion hat das Thema ja nun aufgegriffen, obwohl zum Beispiel auch Prof. Dirk Uwe Sauer von der RWTH, ein Experte für Energiespeichersysteme, gegenüber dem WDR den Fall eines unkontrollierten Blackouts in Deutschland als extrem unwahrscheinlich bezeichnete. Diese Angst werde von Teilen der Politik bedient, um Lobbyismus für eine Renaissance der Atomenergie zu betreiben, so das Magazin Monitor.

Mich treibt als Mitglied dieses Gremiums eine andere Blackout-Sorge um, die Sorge vor einem Verwaltungsblackout. Das Wort kennt Google noch gar nicht, aber wenn Sie nach „Blackout der Verwaltung“ suchen, finden Sie einen Bericht darüber, wie die Verwaltung Potsdams durch einen IT-Angriff lahmgelegt wurde. Unsere Fraktion hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich noch intensiver mit IT-Sicherheit in der Verwaltung auseinanderzusetzen, und das wurde ja auch aufgegriffen.

Verwaltungsblackout, damit meine ich aber, dass die Verwaltung selbst zusammenbrechen könnte, nicht bloß ihre Computersysteme. Sie alle kennen die Meldungen aus nahezu allen Bereichen des Öffentlichen Dienstes, dass wegen Personalnot und hohem Krankenstand ebendiese Dienste nicht im eigentlich vorgesehenen Umfang erbracht werden können. Die gestrige Mitteilung der Stadt Aachen, Kitas aus Personalnot mitunter ganz zu schließen, ist nur ein krasses Beispiel dafür. Gerade vorgestern stellte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg übrigens fest, dass der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz unter keinem Kapazitätsvorbehalt stehe. Das dürfte für NRW nicht ganz anders gelten. Wir haben eine Schulpflicht, aber Sie haben die Situation der Kleebachschule mitbekommen, die aus Personalmangel einen Schultag pro Woche ausfallen lässt.

Kann der Staat seine Verpflichtungen überhaupt noch erfüllen? Sie wissen, dass auch wir in der Städteregion händeringend Kita-Personal suchen. Und Sie haben alle mitbekommen, wie die Elterngeldanträge in der Städteregion nicht in ansatzweise vertretbarer Zeit bearbeitet werden konnten. Das ist keine Lappalie, da geht es um Geld, das Eltern als Ersatz für ausfallenden Lohn fest eingeplant haben in einer Situation, in der gerade jede Menge neue finanzielle Belastungen auf den größer werdenden Haushalt zu kommen.

Ein anderer Bereich: Menschen, die alle Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen, warten mal 12, mal 18 Monate darauf, dass ihre Einbürgerung vollzogen werden kann. Auch das ist keine Lappalie, hier geht es um Menschen, denen Bürgerrechte der Bundesrepublik Deuschland zustehen, und die sie über viele Monate nicht ausüben können, obwohl sie ihrereseits alles Erforderliche beigetragen haben. Ich weiß, dass in der Städteregion viel unternommen wurde, um die Situation im Ausländeramt zu verbessern, und dafür möchte ich im Namen der Fraktion DIE LINKE auch ausdrücklich danken. Aber es bleibt die Sorge, dass das nicht reicht.

Der Deutsche Beamtenbund geht davon aus, dass derzeit etwa 360.000 Beschäftigte im Öffentlichen Dienst fehlen, weil ihre Stellen nicht besetzt werden können, oder weil für erforderliche Tätigkeiten gar kein ausreichendes Personal vorgesehen ist. Pricewaterhouse Coopers geht in der im Juni vorgestellten Studie „Fachkräftemangel im öffentlichen Sektor – Warum wir dringend handeln müssen“ von etwa 450.000 fehlenden Fachkräften im Jahr 2021 aus. Bis zum Jahr 2025 – also bereits zum Ende dieser Wahlperiode hier im Städteregionstag, rechnet PwC vor, werden im öffentlichen Sektor deutschlandweit bereits 765.000 Fachkräfte fehlen, im Jahr 2030 droht das Szenario von über einer Million fehlender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Sektor.

Das ist eine Katastrophe mit Ansage! „Schulklassen mit 50 und mehr Schüler:innen, monatelanges Warten darauf, dass Verwaltungsmitarbeiter:innen Anträge bearbeiten; dies und vieles mehr ist dann durchaus realistisch“, so PwC. Und wenn man das Modell von Prognos zugrunde legt, wonach der Personalbedarf nicht konstant bleibt, sondern noch zunimmt, dann droht 2030 gar ein Mangel von 1,6 Millionen Fachkräften. Ich zitiere hier ganz absichtlich nicht irgendetwas Linkes, sondern einen der großen Beratungskonzerne, denen wir nicht irgendwie nahe stehen. Was empfiehlt der Beratungskonzern? „Die Attraktivität des Arbeitsumfeldes ist ein wesentlicher Faktor, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Zentral ist auch eine attraktive, wettbewerbsorientierte Bezahlung.“ PwC verweist darauf, dass richtige gewerkschaftliche Forderungen nicht umgesetzt wurden.

Und hier komme ich endlich auf den Haushalt der Städteregion zu sprechen: Wir schlagen deshalb vor, dass die Städteregion einplant, in vollem Umfang die gewerkschaftlichen Forderungen der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst zu übernehmen, um unsere Beschäftigten in Diensten der Städteregion zu halten und mehr Personal für die wichtigen Arbeitsplätze zu gewinnen. Sie wissen, dass die Forderungen angesichts der Inflation und insbesondere der Energiepreise nicht überzogen sind, und es ist nur recht und billig, das Geld, das durch nicht besetzte Stellen eingespart wird, für eine angemessene Bezahlung des tatsächlichen Personals einzusetzen.

Um das noch einmal zu verdeutlichen: 1,6 Millionen fehlende Fachkräfte im Jahr 2030 bundesweit, das wären grob nach Bevölkerungsanteil umgerechnet über 10.000 unbesetzte oder ganz fehlende Stellen im öffentlichen Sektor im Gebiet der Städteregion Aachen!

Nach einer Bürgerbefragung des Beamtenbundes sind schon jetzt nur noch 29% der Menschen der Meinung, dass der Staat handlungsfähig ist und seine Aufgaben erfüllen kann. Wie soll man es noch deutlicher sagen? Es gefährdet das Vertrauen in unser Gemeinwesen und den Zusammenhalt in der Demokratie, wenn wir dem nicht mit aller Macht entgegensteuern, um den drohenden Verwaltungsblackout noch abzuwenden.

Und wo ich die Energiekosten erwähnte: Wir haben vorgeschlagen, bei den Unterstützungen für externe Institutionen, deren Arbeit für die Städteregion wichtig ist, stärker als angesetzt zu berücksichtigen, dass Inflation und speziell Energiepreise auch deren Kosten in die Höhe treiben. Auch das wäre ein Beitrag für den Zusammenhalt in der Städteregion. Die hohen Energiepreise bedrohen natürlich auch viele Privatpersonen in der Städteregion, und die meisten wissen heute noch gar nicht, welche Hilfen, welche Entlastungen tatsächlich bei ihnen ankommen werden. Auch darauf müssen wir uns als Städteregion vorbereiten und gegebenenfalls zu eigenen unterstützenden Maßnahmen in der Lage sein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Manuskript meiner Rede als Fraktionsvorsitzender im Städteregionstag zum Haushalt der Städteregion Aachen für das Jahr 2023. Es gilt das gesprochene Wort.)