Für große Empörung (neudeutsch einen „Shitstorm“) hat dieser Tage ein Medienbericht über die Arbeits- und Lebensbedingungen der LeiharbeiterInnen beim Versandhändler Amazon gesorgt. Endlich, denn die abscheuliche Betriebspraxis in dem Konzern ist eigentlich schon länger bekannt. Natürlich stimmt es nicht, wenn Amazon jetzt so tut, als gäbe es bloß ein Problem mit einer einzelnen Zeitarbeitsfirma und dem von dieser eingesetzten Wachdienst. Es ist pure Heuchelei, wenn Politikerinnen und Politiker aus der ganz großen neoliberalen Koalition jetzt empört tun, als gäbe es nur ein Problem mit Amazon und wäre das ganze System der Leih- und Zeitarbeit nicht genau so, wie wir es im Fall Amazon jetzt mal ansatzweise gesehen haben.

Aber die Vorgänge bei Amazon sind ein Anlass, diese Ausbeutungsverhältnisse anzuprangern, den Konzernen wenigstens ein paar schmerzhafte Nadelstiche wie den derzeitigen Imageverlust und eine Reihe von Kundenkontolöschungen zu bescheren. Und daran zu erinnern, dass diese Verhältnisse überhaupt erst ermöglicht wurden durch die Agendapolitik von SPD und Grünen. Die LINKE Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig schrieb 2010 über ein Gespräch mit GewerkschafterInnen in Bad Hersfeld:

Libri, Amazon, Paketversender wie GLS und DHL sowie Briefzustellerfirmen haben hier ihre Auslieferungslager und Umschlagplätze an den sich kreuzenden Autobahnen von Nord nach Süd und Ost nach West. Fast jedes in Deutschland bestellte Buch wird hier verpackt und auf den Weg gebracht. In den Betrieben sind Zustände wie „hire and fire“, gewerkschafts- und betriebsratsfreie Zonen, untertarifliche Bezahlung, Leih- und Saisonarbeit sowie Niedriglohnjobs traurige Realität.

Über die Verhältnisse bei den großen Onlineversandhäusern wie Amazon und Zalando haben insbesondere die Politmagazine der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in der Vergangenheit mehrfach berichtet. So schilderte Report Mainz im November 2011 die „Angst bei Amazon“, weil die ArbeiterInnen systematisch von einem befristeten Vertrag in den nächsten geschickt werden. Mit einer Anfrage an die Bundesregierung reagierte die Bundestagsfraktion DIE LINKE im Januar 2012 auf Presseberichte über den regelmäßigen Einsatz unbezahlter „Praktika“ als angebliche „Eingliederungsmaßnahme von Erwerbslosen“ bei Amazon auf Kosten des Staates. In der Reportage „Gnadenlos billig“ zeigte die ZDF-Reihe „Zoom“ im Augst 2012 unter anderem, wie mit öffentlichen Subventionen Logistikzentren der Onlineversender angelockt werden, bei denen dann zu Niedriglöhnen geschuftet wird.

Der SWR-Markencheck „Amazon – Hinter den Kulissen des Onlinegiganten“ fasste Mitte Dezember 2012, auf dem Höhepunkt des Weihnachtsgeschäfts, noch einmal zusammen, wie die Beschäftigten bei Amazon durch permanente Kontrolle und brutale Zeitvorgaben unter Druck gesetzt werden. Wenige Tage später berichtete der WDR, wie sich Kommunen Amazon anbiedern in der Hoffnung auf Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, wie etwa in Rheinberg in NRW: „Doch auf den Gewerbesteuersegen wartete Rheinberg vergebens. In den Haushalt flossen weniger Steuern als zunächst kalkuliert. Denn das Unternehmen nutzt legale Steuerschlupflöcher und leitet seine Gewinne ins Niedrigsteuerland Luxemburg um.“

Die in der vergangenen Woche ausgestrahlte ARD-Reportage „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“ hat an einer etwas anderen Stelle genauer hingeschaut, nämlich insbesondere bei der Situation der Menschen, die als billige Willige zu Tausenden unter entwürdigenden Bedingungen für das Weihnachtsgeschäft in diversen überbelegten Ferienparks im weiten Umkreis der Amazon-Lager untergebracht wurden. Dabei nutzt der Konzern die katastrophalen Folgen der Merkelschen Europapolitik und die Hoffnungen der Menschen in Südeuropa, bei Amazon in Deutschland endlich eine gute Arbeit zu finden, skrupellos aus. Statt der erhofften guten Arbeit gibt es ein paar Wochen Knochenjob unter permanenter Bewachung, die, wie die Reportage zeigt, mit Hilfe eines faschistoid wirkenden Sicherheitsdienstes auch auf die gesamte Unterbringung ausgeweitet wird. Das Unternehmen weist in seinem Rechtfertigungsschreiben ausdrücklich darauf hin, dass in der Art und Weise der Unterbringung „ein erhebliches Konfliktpotential liegt“. Es gelte „etwaige Konflikte der in den Unterkünften untergebrachten Personen zu vermeiden oder falls dies nicht gelingt, die Polizei bei der Begehung von Straftaten hinzuzuziehen“.

Der Ansatz, menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen ohne „erhebliches Konfliktpersonal“ für die Beschäftigten zu schaffen, kommt bei Amazon und den beauftragten Unternehmen offenbar nicht ernsthaft in Betracht. Jedenfalls tut Amazon in seiner kargen Stellungnahme („Amazon nimmt die Vorwürfe bezüglich der Situation im Seepark Ost während der Weihnachtszeit sehr ernst.“) zur ARD-Reportage so, als hätte es nur Probleme mit der Unterbringung in einer einzelnen Ferienanlage gegeben.

Amazon, der Konzern, der den Onlineversandhandel wie kein zweiter dominiert, kann aber auch just über das Internet unangenehm getroffen werden. Heftige Proteste nach der Ausstrahlung der ARD-Reportage von vergangener Woche haben ein internationales Echo ausgelöst – beispielsweise auch in den USA und China. Das hat erstmal dazu geführt, dass Amazon die Verträge mit der genannten Zeitarbeitsfirma und dem Sicherheitsdienst gekündigt hat. Die Sicherheitsfirma H.E.S.S. hat sich zumindest schriftlich von Rechtsextremismus („und Linksextremismus“) distanziert und den Vertrieb bestimmter rechter Szenemarken eingestellt. Nun muss der Druck aufrecht erhalten werden: durch KonsumentInnenprotest (Kündigung von Amazon-Kundenkonten), durch Unterzeichnung des Online-Appells an Amazon, durch den generellen Verzicht auf den Einkauf bei solchen Händlern, aber insbesondere auch durch Unterstützung jedes öffentlichen Protests gegen die Zustände im Bereich der Leih- und Zeitarbeit, gegen Niedriglöhne und andere Dumpingmechanismen. DIE LINKE kann vor Ort den Druck erhöhen, indem sie bei Ansiedlungsplänen solcher Unternehmen Fragen nach Löhnen, Tarifverträgen und Arbeitsverhältnissen stellt, wie sie das beispielsweise in Aachen bei der geplanten Ansiedlung von Zalando tat.

Veröffentlicht in Linksletter, Februar 2013