Heute vor 25 Jahren hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“, die UN-Kinderrechtskonvention, beschlossen. Kaum jemand wird heute ernsthaft bestreiten, dass das Übereinkommen in fast allen Staaten der Welt zu Verbesserungen der Stellung von Kindern und Jugendlichen geführt hat. Leider hat aber wohl auch kein Land der Welt bisher die Bedingungen geschaffen, mit denen die Forderungen und Ziele des Übereinkommens vollständig und zweifelsfrei erfüllt werden. Die USA haben es übrigens gar nicht erst unterzeichnet. Aber auch in Deutschland gibt es zahlreiche Defizite bei der Verwirklichung. Einige Anmerkungen.
Zu den eklatantesten kinderrechtlichen Missständen hierzulande gehört die Situation von Kinderflüchtlingen. Artikel 22 legt fest, dass ein Kind, das Flüchtling ist oder die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt, „angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte“ der Konvention erhalten soll, egal ob es in Begleitung seiner Eltern ist oder nicht. Dies ist in Deutschland insbesondere hinsichtlich des Rechts in Artikel 24 „auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit“ für minderjährige Flüchtlinge nicht gegeben, obwohl noch einmal ausdrücklich auch in Artikel 24 steht, dass dieses Gesundheitsrecht für alle Kinder zu gelten hat. „Flüchtlingskindern wird beispielsweise nicht die volle medizinische Versorgung gewährt, sondern nur Notfallmedizin“, kritisiert Barbara Küppers von Terre Des Hommes. „Das ist besonders dramatisch bei Kindersoldaten, die sind schwer traumatisiert und haben in Deutschland kein Anrecht auf psychologische Behandlung. Dabei wäre das für sie extrem wichtig, damit sie überhaupt eine Chance haben, sich ein Leben aufzubauen.“ Artikel 39 der Konvention fordert das ausdrücklich: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um die physische und psychische Genesung und die soziale Wiedereingliederung eines Kindes zu fördern, das Opfer irgendeiner Form von Vernachlässigung, Ausbeutung und Misshandlung, der Folter oder einer anderen Form grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe oder aber bewaffneter Konflikte geworden ist.“
Auch die Kinderrechtskonvention ist nur ein Kompromiss zwischen den beteiligten Staaten – das wird besonders deutlich dort, wo militärische Interessen berührt werden. So schließt Artikel 38 nicht vollständig aus, dass Personen unter 18 Jahren zum Militär eingezogen werden, sondern legt eine Reihenfolge für die eventuelle Einziehung von Kindern ab 15 Jahren fest.
In Artikel 29 wird allerdings eine Bildung gefordert, die darauf gerichtet ist „das Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Verständigung, des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie zu Ureinwohnern vorzubereiten.“ Feste Kooperation zwischen Militär und Bildungsträgern, die Werbung von Soldaten an Schulen, Militärwerbung in Jugendmedien und dergleichen sind damit nicht vereinbar.
Im selben Artikel wird auch formuliert, Bildung solle darauf zielen, „die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen“. Dass das stark selektierende und viel zu undurchlässige deutsche Schulsystem diese Vorgabe nur unzureichend erfüllt, ist offenkundig, wird aber außer von der Partei DIE LINKE politisch nicht mehr angegangen im Interesse eines vermeintlichen „Schulfriedens“. Auch Artikel 31, das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit, ist durch die gestraffte Schulzeit mit G8 nicht mehr sichergestellt. Zugleich empfinden vielen Eltern Druck, die verbleibende Freizeit ihrer Kinder mit weiteren Bildungsmaßnahmen zu füllen, damit dieses unter den Wettbewerbsbedingungen der kapitalistischen Gesellschaft bestehen könne. Auch der in Deutschland übliche frühe Schulbeginn ist nicht an den Ruhebedürfnissen des Kindes und seinen optimalen Lernzeiten orientiert, sondern an den Zeitabläufen der Erwachsenengesellschaft.
Dass viele der staatlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen konfessionell gebunden sind, dürfte reihenweise dazu führen, dass das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 14) nicht ausreichend respektiert wird. Regelmäßig werden Kinder an der nächstgelegenen staatlichen Schule zu konfessionellem Religionsunterricht verpflichtet, die der dort Einfluss nehmenden Religionsgemeinschaft gar nicht angehören.
Auch die vielerorts verbreitete Praxis, dass Eltern sich und ihr Kind bei einer Kindertagesstätte erst vorstellen müssen, bevor sie in Wartelisten aufgenommen werden, ist nicht gerade optimal, wenn man gewährleisten will, „ dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung [...] wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormundes oder seiner Familienangehörigen geschützt wird“, wie es Artikel 2 der Konvention fordert. Zwar ist die Forderung aus Artikel 18, „sicherzustellen, dass Kinder berufstätiger Eltern das Recht haben, die für sie in Betracht kommenden Kinderbetreuungsdienste und -einrichtungen zu nutzen“, inzwischen weitgehend in deutsches Recht übernommen, ein Platz in der nächstgelegenen Einrichtung mit guten Bedingungen ist damit aber nicht sichergestellt.
Wer die Konvention in ihrem gesamten Text liest, kommt sicher auf weitere Fragen. Sind die Kontrollen bei Hartz-IV-betroffenen Haushalten vereinbar mit dem Schutz vor willkürlichen Eingriffen in das Privatleben und die Wohnung des Kindes (Art. 16)? Ist die wirtschaftliche Existenzbedrohung des Hebammenberufes vereinbar mit der Forderung nach Maßnahmen „für angemessene Gesundheitsfürsorge für Mütter vor und nach der Entbindung“ und um „sicherzustellen, dass allen Teilen der Gesellschaft, insbesondere Eltern und Kindern, Grundkenntnisse über die Gesundheit und Ernährung des Kindes, die Vorteile des Stillens, die Hygiene und die Sauberhaltung der Umwelt sowie die Unfallverhütung vermittelt werden, dass sie Zugang zu der entsprechenden Schulung haben und dass sie bei der Anwendung dieser Grundkenntnisse Unterstützung erhalten“ (Art. 24)?
Also: 25 Jahre UN-Kinderrechtskonvention sind ein Grund zum Feiern, aber keiner zum zufriedenen Zurücklehnen. Es bleibt viel zu tun!