Seit April 2012 wird den Bürgerinnen und Bürgern Europas zugestanden, mit dem neuen Instrument einer „Europäischen Bürgerinitiative“ bei den Regierenden vorstellig zu werden. Die Initiative „Wasser ist ein Menschenrecht“ hat nun die dazu erforderliche Zahl von einer Million Unterschriften erreicht. Das Verfahren zeigt auch, wie unzulänglich diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist.
Bisher waren Bürgerinitiativen (BI) im deutschen Sprachgebrauch Zusammenschlüsse von Menschen, die sich gemeinsam ein spezielles, meist politisches Anliegen einsetzen. Viele BIs machen das ohne allzu formelle Strukturen, manche gründen für ihren Zweck einen Verein. Bei der „Europäischen Bürgerinitiative“ (EBI) hingegen handelt es sich zunächst nicht um eine Organisation, sondern um ein politisches Verfahren. Warum das Verfahren „Bürgerinitiative“ heißt, wird deutlicher, wenn man klarstellt, was die EBI nicht ist: ein Bürgerentscheid bzw. Volksentscheid. Zum Beispiel hat ein Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene bei uns in Nordrhein-Westfalen den Rang eines Ratsbeschlusses, ja kann sogar ausdrücklich einen Ratsbeschluss aufheben. (Die Unzulänglichkeiten des Bürgerentscheids seien hier jetzt mal ausgeklammert.) Die EBI ist eher eine Art Massenpetition in der Europäischen Union, die jedoch mit hohen Hürden verbunden ist. Von den 26 bisher eingereichten Initiativen sind nach Angaben von Mehr Demokratie e.V. schon sieben als unzulässig abgelehnt und vier weitere zurückgezogen worden. Wurden die Voraussetzungen erfüllt, so kommt es zu einer Anhörung im EU-Parlament zu dem Thema und einer Diskussion mit der EU-Kommission, bei der die Initiative Rederecht hat. Die Kommission muss sich dann überlegen, ob sie dem Anliegen mittels einer Gesetzesinitiative folgt, oder ob sie es lässt. Die Entscheidung ist zu begründen. Punkt. Direkten Einfluss auf die Gesetzgebung in der EU haben die BürgerInnen damit auch weiterhin nicht.
So erklärt auch Dr. Michael Efler von Mehr Demokratie e.V.:
„Ich bin allerdings eher skeptisch, was das tatsächliche Veränderungspotenzial in Bezug auf die EU-Politik angeht. Denn erstens ist die Europäische Bürgerinitiative ja nur ein Vorschlagsrecht an die EU-Kommission. Zweitens sind keine vertragsändernden EBI zulässig, woran viele Initiativen scheitern werden. Und drittens sind die Hürden des Verfahrens – eine Million Unterschriften aus einer signifikanten Zahl von Mitgliedstaaten, Zwang zur Gründung eines Bürgerausschusses mit Mitgliedern aus sieben Mitgliedstaaten, Angabe der Personalausweisnummer in 18 von 27 Mitgliedstaaten – erheblich. […] EBI müssen im Rahmen der Zuständigkeit der EU-Kommission und im Rahmen der EU-Verträge sein. Das heißt, die derzeitigen Kompetenzen der EU dürfen durch eine EBI nicht ausgedehnt werden. Ich habe große Sorge, dass viele Initiativen diese erhebliche Einschränkung nicht beachten werden. Beispielsweise ist die Wahl der Energieträger eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten.“
Andrej Hunko, für die Linksfraktion im EU-Ausschuss des Bundestags, erläutert: „Aus diesem Grund wurde etwa die EBI 'Meine Stimme gegen Atomkraft' sofort von der Kommission abgelehnt, weil der EURATOM-Vertrag als europäischer Grundlagenvertrag die Förderung der Atomenergie festschreibt.“ Der Wert einer Europäischen Bürgerinitiative besteht also vor allem darin, einem Anliegen Öffentlichkeit zu verschaffen, einen Willen der Menschen in der EU zum Ausdruck zu bringen und damit politischen Druck auf die Kommission auszuüben.
So hat die EBI „Wasser ist ein Menschenrecht“ (Right2Water) mit ihrer ersten Million Unterschriften schon lange vor Ablauf der Frist (1. November 2013) eindrucksvoll dokumentiert, dass die Pläne zur vereinfachten Privatisierung der Wasserversorgung auf große Ablehnung stoßen. Deshalb ist es sinnvoll, trotz aller Unzulänglichkeit der Mitbestimmung die EBI zu unterschreiben. „Es bleibt spannend, wie die Kommission darauf reagieren wird,“ meint Andrej Hunko. „Die Notwendigkeit einer Demokratisierung der EU und von Änderungen der Grundlagenverträge bleibt davon unbenommen, das zeigt die gescheiterte Initiative gegen Atomkraft.“