Der sehr schlechte Kompromiss der Bundesregierung, die Kinderrechte in einer Art ins Grundgesetz zu schreiben, mit der man deutlich hinter der Kinderrechskonvention der Vereinten Nationen zurück bliebe, ist gescheitert. Damit ist die Kinderrechskonvention zwar rechtskräftig in Deutschland, den Empfehlungen der UN-Kommission für deren Umsetzung wird Deutschland aber weiterhin nicht gerecht.
Es handelt sich dabei keineswegs um „Detailfragen“, wie Justiz- und Familienministerin Lambrecht (SPD) jetzt behauptet, sondern um den Kern der Rechte von Kindern und Jugendlichen, den CDU/CSU nicht mittragen wollen: dass nämlich nach Artikel 3 der UN-Kinderrechtekonvention bei Entscheidungen, die Kinder und Jugendliche betreffen, das Kindeswohl als ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt zu gelten hat.
Wohl gemerkt geht es nicht darum, dass das Kindeswohl stets Vorrang vor allem anderen hätte. (Wie das zu verstehen ist, erläutert Prof. Jörg Maywald, wohl der bedeutendste Kinderrechteexperte in Deutschland, sehr anschaulich in diesem Video seines Vortrags auf dem Bundeselternkongress 2019.) Die Union wollte nun den absurden Kompromiss durchsetzen, dass das Kindeswohl lediglich „angemessen“ zu berücksichtigen wäre, und das auch noch, ohne dass formuliert worden wäre, wie diese Angemessenheit zu bemessen wäre.
Über 100 Organisationen hatten unter Federführung des Aktionsbündnisses Kinderrechte (Deutsches Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund, UNICEF Deutschland, in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind) im März 2021 erneut an die Bundesregierung appelliert, die Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben – „aber richtig“:
Eine Grundgesetzänderung muss zu einer Verbesserung der Rechtsposition von Kindern in Deutschland beitragen. Sie darf in keinem Fall hinter die UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 der europäischen Grundrechtecharta und die geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zurückfallen, die spezifische Kinderrechte gegenüber dem Staat anerkennt.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei inakzeptabel, „da er keine Stärkung der Kinderrechte“ bedeute. Auch dürfe das in der UN-Konvention zugesicherte Beteiligungsrecht für Kinder und Jugendliche nicht bei einem bloßen Anhörungsrecht stecken bleiben:
Darüber hinaus darf die Beteiligung von Kindern sich nicht auf das rechtliche Gehör beschränken, sondern muss als umfassendes Beteiligungsrecht formuliert werden. Gerade in der aktuellen Covid-19-Pandemie hat sich gezeigt, dass die Rechte und Belange von Kindern und Jugendlichen zu oft übersehen werden.
Bereits vor 20 Jahren hatte die damalige PDS einen ersten Antrag in den Bundestag eingebracht, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, darauf wies der Kinder- und Jungendpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Norbert Müller, in einer Rede im April 2021 hin. Mit dem vorgelegten Kompromiss verstümmele die Bundesregierung die Kinderrechte im 31. Jahr nach Inkrafttreten der Konvention:
[…] die Kinderrechte in der UN-Kinderrechtskonvention sind im Wesentlichen in drei Grundrechte aufgeteilt: in ein Recht auf Beteiligung, ein Recht auf Förderung und ein Recht auf Schutz. Und die UN-Kinderrechtskonvention formuliert global, dass das Kindeswohl ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist. Genau diese vier Aspekte haben Sie nicht umgesetzt.
Dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen jetzt vorerst weiter nicht als eigenständige Rechte ins Grundgesetz aufgenommen werden, schwächt auch die Lage von Kindern in Deutschland, die keine Bürgerinnen und Bürger dieses Staates und deshalb nicht von allen gesetzlichen Bestimmungen erfasst sind. Mit einer Aufnahme ins Grundgesetz wären hingegen Mindeststandards für alle Kinder gesichert, die sich in diesem Land aufhalten.