Seine antifaschistische Standhaftigkeit kostete ihn vermutlich das Leben: Vor 150 Jahren wurde Georg Fritze, „der rote Pfarrer von Köln“, geboren.

„Das Allerbedenklichste scheint mir zu sein, dass ‚nur Christen arischer Rasse zur evangelischen Reichskirche‘ gehören dürfen. Sehr verehrter Herr General­superintendent, geht es hier wirklich um eine Frage, eine ernste Frage? Oder ist es nicht zweifellos, dass hier die schlimmste Vergewaltigung oder Entstellung urbiblischer Botschaft vorliegt?“ Georg Fritze, 13. Mai 1933

Fritze, der seine einflussreichste und seine tragischste Zeit später im Rheinland erleben wird, kommt am 1. August 1874 in Magdeburg zur Welt. Nach seinem Studium der Theologie in Halle erinnern seine ersten Berufsjahre an die des jungen Vincent van Gogh, der um 1878 als protestantischer Hilfsprediger ins Borinage gekommen war, die von schwerer Arbeit – und Katholizismus – geprägte Bergbauregion um die belgische Stadt Mons. Sein Einkommen ließ van Gogh, so berichten Zeitzeugen, oftmals Bedürftigen zukommen und lebte selbst in ärmlichen Verhältnissen. Auch als van Gogh die Predigertätigkeit schon bald aufgeben musste und sich der Malerei zuwandte, beschäftigte ihn das harte Leben der einfachen Leute, wie bei seinem ersten Gemälde, „die Kartoffelesser“ von 1885.

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Zwanzig Jahre nach dem Niederländer van Gogh kommt 1899 auch der Deutsche Georg Fritze als protestantischer Hilfsprediger in die belgische Bergbauregion, und zwar etwas weiter östlich nach Charleroi. Anders als der posthum berühmt gewordene Maler scheitert Fritze als Hilfsprediger nicht, sondern wird bald ordentlicher Pfarrer der belgischen Missionskirche. Auch er sieht das Elend der Bergleute und ist überzeugt, dass deren Lage nur verbessert werden könne, wenn sie sich aus dem Einfluss der katholischen Kirche befreien. „Los von Rom“, ist die Devise der protestantischen Mission in Belgien.

Vier Jahre später kehrt Fritze nach Deutschland zurück und wird Pfarrer im thüringischen Nordhausen. Er bleibt der Entwicklung in Belgien durchaus verbunden und heiratet die Niederländerin Katharina Havelaar.

Als in den folgenden Jahren im Vorlauf des sich anbahnenden ersten Weltkriegs militaristische Töne zunehmen, gehört Georg Fritze zu einer Reihe von Kirchenleuten, die 1913 in einer Erklärung vor der Aufrüstung warnen und „bedauern, dass bisher nur ein verschwindender Teil der deutschen evangelischen Theologen den Völkerfrieden öffentlich vertritt, dass wir diese praktische Gefolgschaft Jesu der kirchenfremden Sozialdemokratie überlassen.“

Der Elektrozaun zwischen Belgien und den Niederlanden

Am 4. August 1914, wenige Tage nach Georg Fritzes 30. Geburtstag, überfallen die deutschen kaiserlichen Truppen von Aachen aus das neutrale Belgien. Der Überfall auf das Nachbarland ist geprägt von zahlreichen grausamen Kriegsverbrechen wie der Erschießung von Zivilisten in Lüttich oder dem Massaker in Dinant mit 674 Toten. 1915 lassen die deutschen Besatzer einen elektrischen Grenzzaun (Foto oben) zwischen dem besetzten Belgien und den Niederlanden errichten, an dem über tausend Menschen qualvoll zu Tode kommen. Seinen Strom bezieht der Zaun im ersten Abschnitt aus dem Netz der Aachener Straßenbahn.

In diesen Jahren widerspricht Georg Fritze immer wieder der kirchlichen Kriegsrechtfertigung und -verherrlichung. Die Sache des Protestantismus ist in Belgien verloren, stellt Fritze fest, denn zu sehr wird dieser mit den deutschen Besatzern identifiziert. Trotzdem zieht es Fritze wieder näher an Belgien: 1916 wird er Pfarrer in Köln. Bei einer Predigt in der Antoniterkirche weist er 1917 entgegen dem Zeitgeist darauf hin, dass „das Reich Gottes und das Reich des Vaterlandes … nicht dasselbe sind, und nur eines von ihnen das Höchste sein kann.“

Nach dem Weltkrieg wird bei Vielen die Suche nach einer Neuausrichtung der evangelischen Kirche stärker. Georg Fritze wendet sich – wie beispielsweise auch Paul Tillich, Karl Barth und der preußische Kultusminister Adolf Grimme – der entstehenden Bewegung der Religiösen Sozialisten zu, die Religion und Arbeiterbewegung nicht länger in Gegnerschaft sehen wollen: „Religiöser Sozialismus kann vielmehr nur bedeuten, dass Religion und Sozialismus wesensmäßig aufeinander angewiesen sind, dass jedes von beiden zur Erfüllung und Vollendung des eigenen Wesens des Bundes mit dem andern bedarf“, formuliert es Martin Buber später einmal.

Als Fritze 1919 im Kölner Gürzenich über „Christentum und Sozialdemokratie“ spricht, ist der Saal so überfüllt, dass der Vortrag am Folgetag noch einmal wiederholt werden muss. 1920 entsteht aus diesem Impuls der „Bund religiöser Sozialisten Köln“. Auch in Essen und anderen Städten beteiligt sich Fritze am Aufbau solcher Gruppen. Zu den Kirchenwahlen 1928 fordern sie „Die Geltendmachung der Botschaft von der Bruderschaft aller Menschen als Richtlinie für die Regelung der Beziehungen zwischen den Volksklassen und Völkern“, aber auch „Kampf der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und jeglichem Mammonismus, sowie Kampf aller Gewaltverherrlichung, also auch dem Kriege!“

Hier diskutieren sie 1930 auch, wie mit dem aufkommenden Faschismus umgegangen werden soll und ob man sich notfalls mit Gewalt wird zur Wehr setzen müssen, weil der Faschismus „den Kapitalismus nicht bekämpft, die Meinungsfreiheit knebelt und Gewalt und Rassenhass propagiert“.

Ebenfalls in Köln findet am 4. Januar 1933 jenes Treffen in einer Industriellenvilla statt, bei dem Reichskanzler a.D. von Papen, Hitler und andere die Machtübergabe an die NSDAP besprechen. Nach deren Umsetzung am 30. Januar beginnen „Deutsche Christen“ und andere Nazis in der Kirche, Menschen wie Georg Fritze das Leben schwer zu machen.

Doch selbst von der Bekennenden Kirche, deren Strukturen er in Köln mit aufgebaut hat, sieht sich Fritze im Stich gelassen, denn diese verfolgt den Kurs, der faschistischen Vereinnahmung zu entgehen, indem Politik und damit auch jedes Wort vom Sozialismus aus der Kirche herausgehalten werden soll. 1937 will deshalb das Köln-Mülheimer Presbyterium der Bekennenden Kirche besser nicht mit einem Sozialisten in Verbindung gebracht werden und verhängt gegen Fritze eine Art Redeverbot.

Obwohl ihm vielfach geraten wird, endlich nachzugeben, verweigert Georg Fritze noch 1938 jeden Treueeid auf Hitler. Schließlich wird er zwangsweise in den Ruhestand geschickt. Nach jahrelangen aufreibenden Auseinandersetzungen ist Fritze herzkrank. Zu Weihnachten erleidet er einen Herzschlag, in dessen Folge er am 3. Januar 1939 stirbt.

Der Kölner Stadtkirchenverband hat sich 1980 für den Umgang mit Georg Fritze in der Nazizeit entschuldigt. Heute erinnern unter anderem eine Figur in der Fassade des Kölner Rathauses, eine Inschrift an der Außenkanzel der Kartäuserkirche und eine regelmäßige Preisverleihung des Kölner Kirchenkreises an den unbeugsamen Pfarrer.

aus: Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Kornelimünster-Zweifall Nr. 231 (Juli-September 2024).