Heute vor 90 Jahren wurden an vielen deutschen Hochschulen Bücher verbrannt – organisiert und durchgeführt unter anderem von der Deutschen Studentenschaft, dem Dachverband der Studentenschaften, der vom NS-Studentenbund (NSDStB) dominiert war. In Frankfurt a.M. hatte der den Religiösen Sozialisten angehörende Philosophie- und Soziologieprofessor Paul Tillich bereits 1932 striktere Maßnahmen gegen den NSDStB gefordert, unter anderem wegen dessen Angriffen auf jüdische Studierende. Im Januar 1933 veröffentlichte Tillich das Buch »Die sozialistische Entscheidung«, in dessen erstem Teil er die »politische Romantik« kritisiert, insbesondere auch ihre »revolutionäre Form«, zu der er die NSDAP zählt:
»Die Rückwendung in der animalischen Sphäre spielt naturgemäß für die revolutionäre Romantik die Hauptrolle. Blut und Rasse sind ihre Kampfbegriffe. Mit Hilfe einer Rassentheorie, die sich wissenschaftliche Form zu geben sucht, wird die überlegene Seinsmächtigkeit der eigenen Rasse behauptet, werden fremde Rassen und Völker im Wert herabgesetzt und wird der politische und ökonomische Herrschaftsanspruch des eigenen Volkes ideologisch gerechtfertigt. – Die leidenschaftlichsten Formen nimmt diese Blutsmythologie im Antisemitismus an, weil sich hier mit dem ökonomischen Gegensatz der Widerspruch gegen das prophetische Element verbindet, dessen Träger das Judentum ist, und das aller germanischen Blutsmythologie seit der Christianisierung ein schlechtes Gewissen bereitet. – In halbem Widerspruch zum Glauben an die edelgeborene Rasse knüpfen sich an die Rassentheorie rassenzüchterische Forderungen von sehr rationalem Charakter, ein Beweis, daß die überlegene Rasse als Realität jedenfalls entschwunden ist; sonst würde sie es nicht nötig haben, sich zum Gegenstand von Theorie und Technik zu machen.« (S. 37)
Auf Grundlage des »Gesetztes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« wurde Paul Tillich im April 1933 von seinem Lehrstuhl entfernt, das Buch samt dem gesamten Programm des Alfred-Protte-Verlags, in dem es erschienen war, verboten. »Es ist selbstverständlich, […] daß es sich hierbei lediglich um eine erste, vorläufige Maßnahme handelt und eine Reihe weiterer Beurlaubungen usw. bevorsteht«, schrieb die Presse über die erste »Säuberung der Beamtenschaft auch an den Hochschulen« vom 13. April 1933, bei der Tillich, Horkheimer und 14 weitere Professoren abgesetzt wurden. (Lokal-Anzeiger Köln, 14.4.1933)
Paul Tillich emigrierte in die USA, wo er schon bald zu einem der bedeutendsten evangelischen Theologen avancierte. In New York beteiligte er sich an den Exilorganisationen »Selfhelp for German Emigrees«, »American Friends of German Freedom« und »Council for a Democratic Germany« (unter anderem mit Bert Brecht), dessen Vorsitzender er wurde. Über den Sender »Voice of America« wandte er sich mit Radioansprachen an die Menschen in Deutschland. Als im Frühjahr 1944 die bevorstehende Niederlage Nazideutschlands immer deutlicher wurde, warnte Tillich auf diesem Wege:
»Und noch einen dritten Ausweg bereiten die Nazis vor: Sie suchen im deutschen Volk unterzutauchen, damit so viele von ihnen wie möglich der Vernichtung entgehen. Sie tun das nicht, um sich selbst zu retten, sondern um das Gift, mit dem sie Deutschland ruiniert haben, lebendig zu halten und jedes neue Deutschland damit zu vergiften. Wenn ein Körper schwach ist, genügt das Überleben weniger Giftträger, um einen neuen Krankheitsausbruch zu erzeugen. Hier liegt vielleicht die größte Gefahr für die deutsche Zukunft. Schneidet den Nazis diesen Ausweg ab, meine deutschen Freunde, schon jetzt. Lasst sie nicht wieder in den Volkskörper eindringen, nachdem sie einmal ausgeschieden sind, scheidet Euch von dem, womit sie das deutsche Volk an Leib und Seele verdorben haben. Gebt ihnen keine Hoffnung, dass ihre Gedanken sich einmal in Zukunft durchsetzen werden, denn es sind Gedanken der Gewalt und nicht der Gerechtigkeit, es sind Gedanken des Hasses und nicht der Liebe, es sind Gedanken, die nicht aufbauen, sondern zerstören. Schneidet den Nazis auch den letzten Ausweg ab, meine deutschen Freunde, den Ausweg in die Zukunft.« (Auswege der Nazis – Gefahren für die deutsche Zukunft, gesendet via Voice of America am 13.3.1944)
Paul Tillich (1886-1965) kehrte niemals dauerhaft nach Deutschland zurück.